Oder: Wieso sind wir nicht wütender? Wo sind die Kontroversen im öffentlichen Diskurs beim „Frauenproblem“?

Wir sind wütend. Zumindest die Menschen, die im Publikum sitzen. Und dennoch ist von den Panelistinnen und Panelisten und Impulsgebenden auf den Bühnen davon nichts zu spüren. Was in uns aus der Eventwoche rund um den Weltfrauentag nachwirkt:

Auf der einen Seite werden im Veranstaltungsrahmen Zahlen präsentiert, die uns mal wieder aufzeigen, wie wenig sich tut, auf der anderen Seite sind dann Fragen und Antworten nicht nur auf sehr hoher Ebene unbefriedigend, sondern manche Antworten auch an der Frage vorbei. Auf die Frage, wie Gründerinnen an Kapital kommen: „Wir brauchen mehr Vorbilder!“ zu antworten, das hilft leider keinem.

Kohle. Nicht (nur) Vorbilder.

Hallo?! Kohle – nicht Vorbilder und Mut! Wer fragt die Unternehmerinnen von heute und morgen, was sie wirklich brauchen? Stattdessen wird die nächste Veranstaltung geplant, die nicht einmal auf der Agenda hat, Ergebnisse zu erreichen.  . Dabei haben wir letztes Jahr schon laut geschrien und gesagt, dass es anders werden muss. Wir haben doch genug: Netzwerke, die wir befragen können, Daten, auf die wir schauen können oder noch mehr sammeln. Und Expertinnen. Kommt auf uns zu. Und bitte bevor ich wieder zusehe, wie meine Steuergelder verbrannt werden.

„Ich finde den Feminismus heutzutage nicht wütend genug“, sagte uns eine Bereichsleiterin des Senats, nachdem ich eine E-Mail geschrieben und darauf hingewiesen hatte, dass die Aktivitäten vielleicht an der Zielgruppe und deren Herausforderungen vorbeigingen. Sie kam und hörte zu.

Und so saßen wir ein halbes Jahr später am Dienstag beim Senat, wo Handys nicht mal für Notizen erlaubt waren, und erwartet wird, dass wir Frauen die konzeptionelle Mitarbeit ehrenamtlich leisten. Wie ironisch nach der Sache mit dem Handy, dass das Thema am Mittwoch dann die Digitalisierung und ihre Chancen für Frauen war. Am Donnerstag beim Tagesspiegel gab es dann ein lebendiges Panel und ein amüsantes und inspirierendes Netzwerken im Anschluss.

#StarkeFrauenStarkeWirtschaft

Am Mittwoch, den 4. März 2020, hieß es beim Wirtschaftsministerium „Alles digital – Chancen für Frauen?“ Im Zentrum stand die Frage, ob es durch Digitalisierung zu mehr Chancengleichheit für Frauen auf dem Arbeitsmarkt kommt. Eine Frage, die wunderbar Anlass für kontroverse und konstruktive Beiträge gibt, und auch wenn solch ein Event keine Talkshow sein kann, hat man als Veranstaltende und Beteiligte eine Verantwortung, die Entwicklungen so kritisch zu betrachten, wie sie sich in Zahlen darstellen. Die Zahl der Jahre, die es dauern soll, bis wir Gleichstellung erreicht haben, kennen wir alle. Da darf auch mal Wut auf den großen (und kleinen) Bühnen zu sehen und zu hören sein. Zumal das eingeladene Publikum vor allem aus Expertinnen und Experten zum Thema besteht.

In diesem konkreten Fall gab es starke Qualitätsunterschiede der Beiträge. Aber, wofür wir keine Bühne brauchten, war, darüber zu berichten, dass man in der Gründerszene dann kein Problem hat, wenn eine Frau neben fünf Männern im Gründerteam ist. Von einem Salat wird man nicht dünn!

Und wie genau hängt das mit Digitalisierung zusammen?

„Dafür war die Veranstaltung auch nicht gedacht.“

Als wir unser Feedback im Nachhinein mitgeteilt haben, erhielten wir die Antwort „Na für kontroverse und tiefgründige Diskussionen war die Veranstaltung nun nicht gedacht.“ Auf die Nachfrage „Wofür dann?“ bekamen wir keine zufriedenstellende Antwort. Ob unsere sehr geschätzte Brigitte Zypries, Initiatorin von #StarkeFrauenStarkeWirtschaft, dies auch so sehen würde, fragen wir sie bei der nächsten Gelegenheit.

Die Veranstaltung beim BMWi hat bei manchen so viel Enttäuschung verursacht, dass sie nicht einmal bis zum Netzwerk-Teil des Abends bleiben konnten. Renommierte Wissenschaftlerinnen, weibliche Vorstandsmitglieder und Frauen, die ich dann auch nicht mehr kennenlernen konnte, haben vorzeitig und kopfschüttelnd die Veranstaltung verlassen.

Wo sind die Kontroversen, wo ist die Wut darüber, dass das Thema Gleichstellung von Unternehmen, Organisationen und von Politik, wie Greenwashing behandelt wird? Also „Female Washing“! Wieso gab es scheinbar willkürliche Impulse? Und wieso wurde nicht mit denjenigen auf der Bühne besprochen, was sie sagen würde? Wo ist die Qualität, wo sind die innovativen Ansätze? Wo ist die Energie, die eine solche Veränderung anscheinend braucht? Wo sind die Politikerinnen und Politiker, die zur Tat schreiten?

Es ist nicht so, als würden wir das nur hinnehmen. Wir sind da, können mit konzipieren, können Expertinnen empfehlen. Und bereits letztes Jahr hat Herr Altmaier leider unsere Rückmeldungen nicht berücksichtigt, dass wir endlich aufhören müssen, Feministinnen und Feministen im Hof zu versammeln und oberflächlich zu reden und dieselben Zahlen zu besprechen. Welche Zielsetzung haben die Veranstaltungen und wer wird dazu eingeladen? (Ich vermutlich nicht mehr. 😉 ) Es sind Expertinnen und Experten, Unternehmerinnen und Schülerinnen, die wir im Publikum sehen. Doch was ist die Message? Ihr seid toll und ansonsten Mut und Geduld, bitte? Nun ja…das Essen war wirklich gut!

Wir könnten Verständnis in vielerlei Hinsicht aufbringen, aber das Thema Gleichstellung ist in unserer Gesellschaft ein krampfhaft runtergespieltes Thema. Als öffentliche Einrichtung und bei einer Veranstaltung dieser Größe hat man eine Verantwortung und eine wunderbare Chance, die Dinge beim Namen zu nennen.

Ich stelle mich auch gerne wieder vor euch als Gründerin und Geschäftsführerin, als Beraterin, als Mensch mit nicht-sichtbaren Schwerbehinderungen, Mutter von Kleinkindern. Doppelte Nationalität habe ich auch. Als ehemalige Woman in Tech, als sehr gute und loyale Angestellte, die dem Mittelstand davongerannt ist. Und als Frau. Als Visionärin. Als Zukunftsgestalterin.

 “Wir machen das übrigens nicht ehrenamtlich, nur weil es von Frauen für Frauen ist.”

Es geht darum, dass die Entscheiderinnen und Entscheider Ressourcen freimachen, um dieses „Frauenproblem“ zu lösen. Um Politikerinnen und Politiker zu bewegen, Richtlinien zu erarbeiten, Gesetze zu erlassen. Vielleicht nicht mit Sanktionen drohen sondern für gute Taten belohnen. Traurig, dass es nicht ohne geht? Und wie. Wir möchten Inklusion als gesamtgesellschaftlichen Wert wissen und verankern. Aber das scheint noch nicht so gut zu klappen. Na dann, lasst uns das nächste probieren. Nicht stillstehen und über dieselben Zahlen reden. Wir können uns übrigens ganz gut anschauen, was bei anderen so klappt. Und solange es nicht in den Köpfen und der Kultur verankert ist, gibt es halt Bonbons, wenn’s gut gemacht ist.

Wenn Organisationen investieren, dann ist dies gut angelegt, wie auch Herr Berg von der AllBright Stiftung beim Tagesspiegel am Donnerstag überzeugend vertrat. Denn Unternehmen müssen sich für ihre eigene Zukunftssicherheit bewegen. Diese Ressourcen, die Unternehmen für nachhaltige Gleichstellung aufbringen, haben eine Wirkung.

Wir beraten, begleiten, geben öffentlichen Institutionen auch Input – ja klar, für den guten Zweck der Gleichstellung. Und so langsam kommt auch hier an: Wir Frauen machen das nicht ehrenamtlich. Qualität und Expertise und auch Strukturen verändern hat seinen Preis!

Der Drops ist gerade gelutscht. Die Chance ist da.

Bei den Veranstaltungen ging es immer und immer wieder um Familie und Vereinbarkeit. Versteht mich nicht falsch: Ich finde das Thema unglaublich wichtig. Ich habe oft den Weg bereitet für mehr Gleichbehandlung – ob im beruflichen oder persönlichen Umfeld. Bei mir selbst war klar: Wir hätten mehr vom Geld vom Staat gehabt, wenn ich brav Zuhause geblieben wäre. Und genau das muss sich ändern!

Nun haben wir eine weitere Chance, die zeigt, dass wir in Strukturen unterwegs sind, die von Menschen gemacht wurden, die sich nicht vorstellen können, dass es weibliche Vorstandsmitglieder gibt. Delia Lachance bringt dieses Thema in die Öffentlichkeit.

Ob als angestellte Mutter, Vorständin, Aufsichtsrätin: Im März 2020 ist der Drops nun gelutscht. Worauf es also nun ankommt: Was wir daraus jetzt machen! Dass wir alle, die mit dem Kopf geschüttelt haben, zum Diskurs eingeladen werden und ihn selbst beginnen. Beides! Das ist wie die strukturelle und systemische Veränderung, die Unternehmen nun brauchen: Von oben ist die Bereitschaft absolut erforderlich und von unten so erstrebenswert, denn dann geht es am Schnellsten.

Frauenproblem? Wir haben ein Kulturproblem.

Vermutlich sind wir manchmal zu belesen, sofern das geht, konzentrieren uns manchmal zu viel auf Daten und die Effektivität unserer Maßnahmen, da wir wirklich etwas verändern wollen. Sind zu wenig oberflächlich, da doch viele mehr „Female Washing“ wollen. „Wir haben halt dieses Frauenproblem.“ …nein. Ihr habt ein Kulturproblem. Und da dies nicht reicht: In der Zukunft ein Rentabilitätsproblem.

Worauf warten? Und wenn wir schon mal dabei sind, dann machen wir es richtig. Intersektionale Inklusion. Das kostet Macht, Geld und alte Strukturen. Nicht ein bisschen dieses Frauending. Hier ist euer Bonbon.